Bericht zur BIRDS Infoveranstaltung am 11.06.2024

Dr. Thomas Pieper, Limnologe und Umweltökonom mit Forschungsschwerpunkt Trinkwasserversorgung, eröffnete den informativen Abend der Bürgerinitiative Revitalisierung des Schussendeltas (BIRDS). Er stellte die Herausforderungen an die Trinkwasserversorgung der Zukunft dar und zeigte anhand der Schussen, welch hoher Belastung dieser Fluss nach wie vor ausgesetzt sei. Es kam klar zum Ausdruck, dass hier ein Wendepunkt erreicht werden müsse. Gleichzeitig nahm er das Publikum mit auf einen kleinen Exkurs in die Welt der wissenschaftlichen Planung zu diesem komplexen Themengebiet. Dabei zeigte er auf, dass Ideen “aus der Nische” in der öffentlichen Debatte wichtig seien, um gerade auch für den Problemfall Schussen in überschaubarer
Zeit eine ökologisch nachhaltige Verbesserung zu erreichen. Nach der Einstimmung in das Thema „Problemfluss Schussen“ ermöglichte Dr. Daniel Müller einen Blick unter die Wasseroberfläche. Es kämen große Mengen an Schadstoffen im Abwasser zusammen, von denen viel, aber nicht alles von den Kläranlagen eliminiert werde. Dazu gehörten Arzneimittelrückstände aus den Behandlungen der Menschen im Einzugsgebiet der Schussen. Aber auch Nährstoffe aus der Tierhaltung als sogenannte „diffuse Einträge“. „Im Hinterland weiter nördlich und östlich wird intensive Viehzucht
betrieben. Gülle wird auf Felder ausgebracht. Aber auch Kunstdünger enthält Phosphat“ erklärte Müller. Die sehr hohe Nährstoffkonzentration in Verbindung mit einer geringen
Fliessgeschwindigkeit und der ungewöhnlich flache Mündungsbereich der Schussen, in dem sich das seichte Wasser im Sommer stark erwärmen könne, sei für die massive
Algenentwicklung in den Sommermonaten ursächlich. Der Algenteppich reduziere den Sauerstoffgehalt des Wassers drastisch und produziere zudem toxische Gase. Seine
Kinder seien von den Algenteppichen, dem Gestank und den toten Fischen entsetzt gewesen. Dass flaches und warmes Wasser auch kristallklar und somit algenfrei sein
könne, zeige sich andernorts am See, z.B. an der Vogelinsel bei Immenstaad. Dr. Gerhard Moll zeigt zu Beginn auf, welchen strukturellen Veränderungen der Verlauf
der Schussen schon vor der Mitte des 18. Jahrhunderts bis heute unterzogen wurde. Der natürliche, mäandernde Flusslauf wurde begradigt. Bei großen Wassermengen kann das
Wasser ungebremst in den See fließen. Ausschwemmungen von Material und die Bildung eines Mündungsdeltas waren die Folge. „Im Ergebnis ist das ein menschengemachter
Zustand und kein natürlicher“, betonte Dr. Moll. „Jede Problemlösung beginnt mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit. Und nicht mit Wegschauen.“ Mit dieser Feststellung ging
es an die Frage, wo die Nährstoffe für die Algen denn eigentlich herkommen. Der Blick richtete sich dabei auf veröffentlichte Zahlen zu dem wichtigsten Nährstoff, dem Phosphor
bzw. dem Phosphat. 18 Kläranlagen im Einzugsgebiet der Schussen lägen weit verteilt im Hinterland, bis Althausen, Bad Waldsee und im Allgäu bei Kißlegg. Es sei bekannt, dass
diese Anlagen eine Phosphor-Eliminierung von gut 95% haben. Die dann in die Schussen geleitete Menge von 5% entspräche allerdings noch immer 8 t jährlich. „Alleine mit dieser
Menge lässt sich die Bildung eines Algenteppichs locker erklären“, rechnete Dr. Moll vor. „Denn so kommen durchschnittlich 22 kg Phosphor pro Tag an der Mündung an, und
diese Menge hat das Potential für die Bildung von 11 t Algen – und zwar täglich!“ Aus Modellierungsberechnungen gehe zudem hervor, dass noch weitere zig-Tonnen
Phosphor zusätzlich aus diffusen Quellen in die Schussen gelangen. Ein direkter Zugriff und eine Möglichkeit zur limitierenden Steuerung dieser Mengen vor der Einleitung in die
Schussen bestehe derzeit jedoch nicht. Somit seien auch zusätzliche Anstrengungen zur Phosphorreduzierung durch die Kläranlagen zur Lösung der Algenproblematik nahezu wirkungslos.
Besonders beindruckte die Zuhörer eine Animation zur Verteilung des Schussenwassers beidseits der Schussenmündung. Die beiden Hauptwindrichtungen würden dafür sorgen, dass das Wasser in Ufernähe mal zur Rotachmündung in Richtung Friedrichshafen und mal zur Argenmündung nach Langenargen driftet. Was das Flusswasser allerdings nicht mache: es fließt nicht in den See hinaus! Mit gesundem Menschenverstand sollte daher jedem einleuchten, dass Leitdämme, die das belastete Schussenwasser direkt in den See hinaus leiten, eine Problemlösung sein können. Am Beispiel der Mündung des Alten Rheins wurde diese Lösung konkret aufgezeigt. Leitdämme würden hier bei uns gleich „zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“: Sowohl Nährstoffe als auch mikrobiell verunreinigtes Wasser würde konsequent von den Stränden ferngehalten. „Es gebe dann keine Algenteppiche und keinen Gestank mehr und auch die Badeverbote bestünden nicht mehr.“, war sein Fazit.
„Uns stinkt’s!“ fasste Moritz Gauss die ernüchternde Erfahrung im Kontakt mit den Behörden und ihrer andauernden Hinhaltetaktik zusammen. Seit 1991 gebe es nun bereits ein generelles Badeverbot zwischen den beiden Strandbädern Eriskirch und Langenargen – und eine Besserung sei auch nach über 30 Jahren noch immer nicht in Sicht. Nicht einmal die Behörden selbst konnten die weiterhin gültigen “steinalten” Allgemeinverfügungen zum Badeverbot auf Anhieb noch auffinden. Eine Digitalisierung und Aufnahme in das öffentlich zugängliche Online-Archiv des Landratsamtes stehe aus welchem Grund auch immer nach wie vor aus. Auch hinsichtlich der Algenentwicklung an der Schussen, die laut Auffassung der Behörden im Jahr 2022 angeblich zum allerersten Mal auftrat (!) sei die Information der Öffentlichkeit über das Tun der Behörden stark verbesserungsfähig. So wurden konkrete Fragen zu den behördlichen Planungen oft nur mit großer Verzögerung oder vollkommen unzureichend beantwortet. Daher soll jetzt eine offizielle Anfrage an das Umweltministerium des Landes BW auf Basis des Landesinformationsfreiheits-Gesetzes für mehr Transparenz sorgen. Die „Empfehlung“ des Regierungspräsidiums Tübingen an die Gemeinde Langenargen, auf eigene Kosten ein Amphibienfahrzeug zum Abfischen der Algen für rund 300.000 Euro plus Betriebskosten anzuschaffen, sei wohl nur als schlechter Witz zu verstehen – und bedeute darüber hinaus eine Umkehr des Verursacherprinzips. „Die geschädigte Gemeinde solle für die Kosten der Schadensbeseitigung auch noch selbst aufkommen“, was zudem vollkommen unrealistisch sei, kommentierte Dr. Moll diesen Sachverhalt.
Leider seien auch Ergebnisse von den leider erst jetzt geplanten Untersuchungen der durch zahlreiche Regenüberlaufbecken mit verursachten, ungeklärten Nähr- und Schadstoffeinträge in die Schussen frühestens in ein paar Jahren zu erwarten. Die Umsetzung von Maßnahmen sei dann sicherlich erst in weiteren 10–15 Jahren zu erwarten. So lange könne und wolle Langenargen jedoch angesichts des Ausmaßes der Umweltbeeinträchtigung durch die verschmutzte Schussen nicht mehr warten.
Es sei daher unabdingbar, dass die Behörden ihre bisherigen Planungen offenlegen als auch sich auch für andernorts sehr erfolgreich realisierte Lösungen – wie z.B. am Altenrhein – öffnen und diese ernsthaft prüfen. Dafür sei es dann durchaus sinnvoll, Geld in die Hand zu nehmen. Warum auch nach Jahren noch immer keinerlei Gutachten zur tiefgreifenderen Analyse und Bewertung einer Ausleitung der Schussen in Richtung Seemitte durch geeignete Leitdämme behördlicherseits in Auftrag gegeben wurde, sei daher nicht nachvollziehbar.
Die Vorträge waren begleitet von einer umfassenden Posterausstellung zu allen referierten Themen. Rund 60 interessierte Bürgerinnen und Bürger fanden sich zu der Veranstaltung im Foyer
der Festhalle Langenargen ein. (mgm)

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Kontaktdaten
Bürgerinitiative „Revitalisierung des Schussendeltas“ (BIRDS), Langenargen Dr. Gerhard Moll Mühlengärten 37 88085 Langenargen Mobil 0177 78 49 106
E-Mail: info@revitalisierung-schussendelta.de
Verfasser des Texts: Dr. Gerhard Moll, Moritz Gauss, Dr. Daniel Müller (mgm) Sie sind mit einer honorarfreien Veröffentlichung einverstanden. Alle in der Pressemitteilung erwähnten Personen sind mit einer honorarfreien Veröffentlichung und Nennung des vollen Namens einverstanden.